29.10.2013 – Gastkommentar in „Die Presse“ von Patrick Minar: Als der große römische Redner und Staatsmann Marcus Tullius Cicero den Senator Lucius Sergius Catilina der Verschwörung überführen wollte, war ihm eines klar: Für eine Verurteilung brauchte es mehr als juristische Argumente. Er war angewiesen auf die Unterstützung der Öffentlichkeit, die er durch die berühmten „Reden gegen Catilina“ auf seine Seite ziehen wollte. Es handelt sich dabei um mehr als eine historische Anekdote, mit der Lateinschüler gequält werden. Es ist vielmehr Zeugnis einer alten Disziplin der Öffentlichkeitsarbeit, die heute unter dem Namen Litigation PR immer größere Bedeutung gewinnt.
Durch die Unterstützung einer juristischen Strategie durch gezielt eingesetzte Medienarbeit wird dabei versucht, einerseits die Reputation der involvierten Personen zu schützen, andererseits Deutungshoheit über das Verfahren zu gewinnen und somit die juristische Auseinandersetzung zu beeinflussen. Auch wenn in der Vergangenheit ebendieses immer schon versucht wurde – siehe obiges Beispiel –, zeigt die jüngere Geschichte weitreichende Veränderungen in diesem Bereich.
Die aktuellen Verfahren zur Aufklärung diverser Korruptions- und Wirtschaftsstraffälle sind geprägt durch hohe mediale und öffentliche Aufmerksamkeit. Die Öffentlichkeit ist heute bereits zu einem Zeitpunkt präsent, zu dem eigentlich noch keine vorgesehen ist. Woche für Woche liest man aus geheimen Einvernahmeprotokollen, Beschlüssen zur Hausdurchsuchung oder anderen Akten in Medien. Jüngst konnte ein Beschuldigter im Telekom-Prozess seine Anklageschrift in einer Tageszeitung lesen, noch bevor sie ihm offiziell zugestellt war. All das beeinflusst dramatisch Atmosphäre und Rahmenbedingungen, innerhalb derer dann später ein Prozess abläuft.
Auch unmittelbare Prozess-Teilnehmer haben sich auf das Phänomen „Cicero 2.0“ bereits gut eingestellt. Immer öfter unterstützen Staats- und Rechtsanwälte ihre Anklagevorträge und Plädoyers durch professionell gestaltete Powerpoint-Präsentationen und wenden sich dabei eindeutig an die anwesenden Journalisten und somit an die Öffentlichkeit und nicht an das Gericht. Gut aufbereitete Presseunterlagen werden im Gerichtssaal verteilt. Alles für ein Ziel: Gestaltung der öffentlich-medialen Darstellung des Verfahrens.
Aus beinahe jedem größeren Prozess wird mittlerweile, teils von mehreren Medien und Journalisten gleichzeitig, via Twitter oder Live-Ticker direkt und unmittelbar berichtet. Daraus ergeben sich nicht nur relevante juristische rechtstaatliche Fragestellungen. So dürfen sich Zeugen vor ihrer Aussage ja nicht im Gerichtsaal aufhalten, um keiner Beeinflussung durch andere Aussagen zu unterliegen, mit jedem Smartphone kann jedoch mittlerweile Wort für Wort im Wartesaal mitgelesen werden. Bisher fehlt hier jeder rechtliche Rahmen, um mit dieser neuen Entwicklung umgehen zu können. Den betroffenen Richtern bleibt oft nur die Bitte um verantwortungsvolles Agieren der Journalisten. Die Leserschaft der Liveticker ist groß, die Möglichkeit, dort auch Kommentare zu posten, schafft wiederum neue Bühnen der Meinungsbildung und -beeinflussung. In gewissen Teilen ist hier eine Form der Trivialisierung und Inszenierung zu beobachten, die eher an Brot und Spiele, denn an Berichterstattung ohne Zorn und Eifer erinnert.
Stark zu relativieren ist mittlerweile die traditionelle Gerichtsberichterstattung, in der ein in die Materie eingearbeiteter Journalist Informationen filtert und aufbereitet und so seiner Leserschaft das Prozessgeschehen mitteilt. Der immer größer werdende ökonomische Druck macht es für Medien immer schwieriger, den klassischen Gerichstberichterstatter zu unterhalten, womit auch der Verlust dieser spezifischen journalistischen Kompetenz einhergeht. Als Folge kommt es immer wieder – freilich ohne Absicht – zu irreführenden Darstellungen, die dann korrigiert oder gar erst für alle mühsam medienrechtlich geklärt werden müssen.
Selbstverständlich wird mittlerweile auch der Umgang mit traditionellen Medien immer ausgiebiger und professioneller gepflegt. Eindrückliche Beispiele sind dafür sowohl Gernot Schieszler als auch Peter Hochegger. Beiden, immerhin zentrale Figuren in den mutmaßlich größten Korruptionsskandalen der jüngeren Zeit, ist es gelungen, sich mehrfach in großflächigen, gut vorbereiteten Print- und TV-Interviews zu rechtfertigen, persönliche Spins zu verbreiten, Nebelgranaten zu werfen und erste Schritte zum Wiederaufbau ihrer Reputation zu setzen. Man erinnere sich nur an den denkwürdigen Auftritt Peter Hocheggers im Korruptions-U-Ausschuss, als er es schaffte, orchestriert durch professionelle Medienarbeit davor und danach, dass am Ende praktisch alle Medien über kleine Agenturmitarbeiter berichteten und nicht mehr über verschwundene Millionenhonorare.
Der Rücktritt des ehemaligen Bankmanagers Herbert Stepic hat gezeigt, dass eine unklare Kommunikationsstrategie einen medialen Sturm entfachen kann, der auch vor Raiffeisen nicht haltmacht. Ob es in diesem Fall überhaupt zu einer Anklage kommt, ist noch völlig offen. Der Schaden für den Betroffenen ist jedoch bereits durch die Veröffentlichung eingetreten und kann weder durch eine Niederlegung des Verfahrens noch durch einen Freispruch ausgeglichen werden.
All das sind Beispiele von gewollter oder ungewollter medialer Präsenz, die massiven Einfluss auf die Reputation der betroffenen Personen, auf das Verfahren im Gerichtssaal und auch auf das „Verfahren im Gerichtssaal der Öffentlichkeit“ haben. Die aktuellen Prozesse zeigen deutlich, dass an allen Enden, von der Staatsanwaltschaft, über das Justizministerium, bis hin zu den Rechtsanwälten und Betroffenen selbst, immer offensiver, strategischer und professioneller mit der Öffentlichkeit und den Medien zur Zielerreichung gearbeitet wird.
Am Ende setzte sich übrigens Cicero gegen Catilina und seine Mitverschwörer durch. Ob er sich damals im Umgang mit der Öffentlichkeit beraten ließ, ist nicht überliefert. Er schaffte es jedenfalls, diese für sich zu mobilisieren und so den Prozess zu gewinnen. Wer also nicht auf ähnliches rhetorisches Talent zurückgreifen kann, sollte sich auf die Herausforderungen größerer medialer Öffentlichkeit einstellen und das Spiel mit der Öffentlichkeit nicht auf die leichte Schulter nehmen. Das betrifft Rechtsanwälte und Beschuldigte ebenso wie Richter und Staatsanwälte, aber auch den Gesetzgeber, der zu klären hat, ob, wann und in welcher Form Öffentlichkeit notwendig und gewünscht ist. Zu hoffen, den Medien und der damit geschaffenen Öffentlichkeit einfach durch „kein Kommentar“ entrinnen zu können, ist sicherlich zu kurz gegriffen.