Bei unseren deutschen Nachbarn diskutiert man seit geraumer Zeit darüber, ob die Aufnahme und Übertragung öffentlicher Urteilsverkündungen, ganz nach US-amerikanischem Muster, bei den obersten Bundesgerichten zugelassen werden soll. Ein diesbezüglicher Änderungsentwurf, beziehend auf § 169 GVG (Gerichtsverfassungsgesetz), soll in den kommenden Monaten ins Bundeskabinett eingebracht werden.
Bei den Präsidenten der fünf obersten Bundesgerichte geht indes die Angst um. Man hegt die Befürchtung, dass der eine oder andere Richter wegen einer unglücklichen Formulierung ungewollt zur Lachnummer auf Youtube werden könnte. Weitere Befürchtungen der „P5“ seien die Verkomplizierung der Abläufe am Gericht, aber auch die mögliche Überforderung von Vorsitzenden und eventuelle Weiterungen der geplanten Lockerungen.
Für Prof. Dr. Andreas Mosbacher, Richter am Bundesgerichtshof und Honorarprofessor für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität Leipzig, hingegen bietet die Neuregelung mehr Chancen als Risiken.
Die Mediatisierung von Urteilsverkündungen diene der Transparenz staatlichen Handels und damit der Kontrolle der dritten Gewalt, argumentiert Prof. Dr. Mosbacher. Dass Bild- oder Tonaufnahmen aus „normalen“ Gerichtsverhandlungen (d.h. in diesem Fall Instanz oder mündliche Verhandlungen) oder zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der Beteiligten verboten sind, sei mehr als verständlich. Entscheidungen von obersten Bundesgerichten, die Auswirkungen auf viele, wenn nicht sogar alle Bürger haben können, gehören hingegen aufgenommen und der Öffentlichkeit übertragen.
Das Argument, dass nicht jeder Vorsitzende gleichermaßen wortgewaltig die Entscheidungen des eigenen Senats für Rechtsunkundige begründen könne, kontert Prof. Dr. Mosbacher mit dem Vorschlag, bei der Wahl der Vorsitzenden Richter an den obersten Bundesgerichten, neben der fachlichen Befähigung endlich auch die soziale Kompetenz als Kriterium einzubeziehen.
Vor unnötigen Verkomplizierungen braucht man sich auch nicht fürchten. Die geplante Neuregelung würde nichts an den üblichen Abläufen ändern. Darüber hinaus werden womöglich nur die spektakulären oder rechtlich besonders wichtigen Fälle übertragen, was nochmals die Befürchtungen der P5 relativiert.
Im Großen und Ganzen sei die neue Regelung eine Chance. Sie könnte einen authentischeren Einblick in die Arbeit der dritten Gewalt geben. Somit bekäme die Rechtsanwendung ein Gesicht. „Eine starke und selbstbewusste Justiz muss sich nicht verstecken. Sie sollte ein Mehr an Öffentlichkeit nicht scheuen, sondern als Chance für den Dialog mit allen betrachten, die das Recht verstehen wollen“, schlussfolgert Prof. Dr. Mosbacher.
Quelle: www.lto.de